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Organisationale Resilienz – Gute Arbeit aktiv gestalten!

Autorenbild: INAGO - Institut für Arbeitsgestaltung und OrganisationsentwicklungINAGO - Institut für Arbeitsgestaltung und Organisationsentwicklung

Worin sind sich Unternehmen, Politik und Gewerkschaften einig? Alle wollen gute Arbeit gestalten und gewährleisten. Gute Arbeit bedeutet dabei nicht Selbstoptimierung, um sich an bestimmte Verhältnisse anzupassen, sondern vielmehr, dass die Verhältnisse (also Arbeitsbedingungen und Arbeitsinhalte) der Schlüssel für ein proaktives Lernen und eine effizienzsteigernde Entwicklung darstellen. Lernen bezieht sich dabei sowohl auf den einzelnen Menschen als auch auf die Organisation.

Organisationale Resilienz

Der stetige Wandel der Arbeit führt fortlaufend zu neuen Herausforderungen für Organisationen. Durch die COVID-19-Pandemie sind sehr viele Herausforderungen in kurzer Zeit entstanden. Jedoch ist COVID-19 nicht die Ursache der meisten dieser Entwicklungen und Herausforderungen, sondern vielmehr ein Beschleuniger einer tiefgreifenden strukturellen sowie dauerhaften Veränderung der Arbeitswelt. Der Schlüssel, um in dieser Arbeitswelt langfristig erfolgreich zu sein, ist die Organisationale Resilienz. Also die Fähigkeit eines Unternehmens, auf Veränderungen zu reagieren und sich daran anzupassen sowie zukünftige Herausforderungen und Chancen zu antizipieren. Während der Covid-19-Pandemie sind insbesondere diejenigen Unternehmen wettbewerbsfähig und resistent geblieben, welche bereits über eine Organisationale Resilienz verfügen. Die Organisationale Resilienz entsteht durch ein Zusammenspiel der strukturellen Merkmalen einer Organisation sowie deren Arbeitenden. Die strukturellen Merkmale resilienter Organisationen sind bereits bekannt und z.B. in der DIN EN ISO 6385 aufgeführt. Danach sollten Arbeitsstellen unter anderem die Merkmale Vollständigkeit, Vielfalt, Tätigkeitsspielraum, Rückmeldung, Lernerfordernisse und eine gut angepasste Arbeitsintensität aufweisen. Diese Merkmale sind empirisch sehr gut erforscht und unstrittig. Darüber hinaus müssen die Arbeitenden aber auch ein generelles Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten und Fertigkeiten für die Umsetzung gut gestalteter Tätigkeiten besitzen bzw. entwickeln. Praktisch ergeben daraus zwei wesentliche Fragen:

1) Wie erfährt ein Unternehmen, wie die Arbeitsstellen aktuell objektiv (also unabhängig von der Meinung der Arbeitenden) gestaltet sind?

2) Wie kann im Anschluss Organisationale Resilienz erreicht werden?

In unseren Beiträgen zu objektiven Kriterien und Methoden haben wir bereits Antworten auf die erste Frage geliefert. Dabei haben wir gezeigt, dass eine Methodenkombination aus Beobachtungsinterviews und Fragebögen durchgeführt werden sollte. Den Kern einer Arbeitsanalyse stellt zu jeder Zeit das objektiv-bedingungsbezogene Beobachtungsinterview dar (Hacker et al., 2015; Mustapha, 2020; Rau et al., 2018). Nur so kann ein Unternehmen erfahren, wie die Arbeit wirklich gestaltet ist, ohne dass die individuelle Wahrnehmung, Konstitution und Qualifikation der Arbeitenden die Bewertung verzerrt. Zusätzlich ist darauf zu achten, dass die eingesetzten Verfahren über objektive Bewertungskriterien verfügen.

Nachfolgend möchten wir eine Antwort auf die zweite Frage zur Arbeitsgestaltung bzw. Maßnahmenableitung geben.

Dynamische Arbeitsgestaltung

Wie bereits beschrieben, ist die Organisationale Resilienz durch das Zusammenspiel von strukturellen Maßnahmen (strukturelles Empowerment) und personenbezogenen individuellen Maßnahmen (psychologisches Empowerment) zu erreichen. Das heißt, dass Arbeitsmerkmale verhältnisorientiert umgestaltet werden und dass parallel dazu die Personen verhaltensbasiert befähigt werden, in solchen Arbeitsstrukturen zu arbeiten. Durch das Zusammenspiel von strukturellem und psychologischem Empowerment können Arbeitstätigkeiten und -abläufe von den Arbeitenden eigenständig (um)strukturiert werden. Der Zuwachs an erlebter Kontrolle trägt zusätzlich zum Lernen und zur Weiterentwicklung der Arbeitenden bei. Dem Ansatz der dynamischen Arbeitsgestaltung liegt somit die Verknüpfung verhältnis- und verhaltensorientierter Interventionen zugrunde.

Verhalten UND Verhältnis

Das Arbeitsschutzgesetz, die DIN EN ISO 6385, die DIN EN ISO 10075-3 und die Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin priorisieren die Verhältnisprävention als Mittel zur Wahl der psychologischen Arbeitsgestaltung. Allgemein gilt, dass die Verhältnisprävention Vorrang vor der Verhaltensprävention haben sollte. Der große Vorteil der Verhältnisprävention liegt in der Nachhaltigkeit dieses Ansatzes. Während Qualifizierungsmaßnahme bzw. Schulungen (Verhaltensprävention) bei neuen Arbeitenden immer wieder durchgeführt werden müssen und bei bereits vorhandenen Arbeitenden oft aufgefrischt werden müssen, haben Arbeitsgestaltungsmaßnahmen (Verhältnisprävention) einen langfristigen Effekt. Verhaltenspräventionen sollten ohnehin „Primärpräventiv“ sein. Das heißt, dass Verhaltenspräventionen im besten Falle schon Bestandteil der Ausbildung bzw. Berufsqualifikation sein sollten.

Verhältnisprävention: Eine Verhältnisprävention bezieht sich auf die Gestaltung der Arbeitsumgebung und Arbeitsbedingungen (bzw. des Arbeitsinhalts und der Ausführungsbedingungen von Arbeit) – somit auf die Gestaltung von Belastungen der Arbeit. Die Gestaltung zielt darauf ab, dass Arbeitende effizient, beeinträchtigungsfrei und möglichst unter Weiterentwicklung der Leistungsvoraussetzungen arbeiten können und Gesundheitsrisiken bei der Arbeitsausführung vermieden werden.

Verhaltensprävention: Der Ansatz der Verhaltensprävention bezieht sich auf die Person. Ziel der Verhaltensprävention ist das Vermitteln von Kompetenzen. In der Regel werden die Verhaltenspräventionen in Form von Informations- und Aufklärungsmaßnahmen oder Trainings durchgeführt, bei denen die Arbeitenden beispielsweise Bewältigungstechniken oder Kenntnisse und Strategien für effizientes Arbeiten vermittelt bekommen (Erlernen von Problemlösekompetenzen, Anti-Stress-Verhalten, Ernährung bei Nachtarbeit etc.).

Dreifachzielstellung

Durch die Organisationale Resilienz wird außerdem die Dreifachzielstellung guter Arbeit erreicht. Dabei lauten die drei Zielstellungen wie folgt:

1. Effizienz der Leistung: Der wirtschaftliche und individuelle Aufwand muss im Verhältnis zum Ertrag stehen. In diesem Sinne muss die psychologische Arbeitsgestaltung eine Effizienzverbesserung unterstützen, welche zum Fortbestehen des Unternehmens beiträgt und damit auch Arbeitsplätze sichert.

2. Schutz vor physischer und psychischer Beeinträchtigung: Die Arbeitenden müssen vor körperlicher und psychischer Beeinträchtigung sowie Schädigung geschützt werden.

3. Lern- und Persönlichkeitsförderlichkeit: Die Arbeit soll Entwicklungsmöglichkeiten bieten. Das bedeutet, dass durch eine lernförderliche Arbeitsgestaltung ein learning on the job ermöglicht wird. Einerseits schützen ständige Lernanforderungen vor Demenz sowie kognitiven Abbau und andererseits ist eine stetige Weiterentwicklung wichtig, um mittel- und langfristig den Herausforderungen der Arbeitswelt gerecht zu werden.

Gute Arbeit aktiv gestalten

Zusammenfassend ist die Organisationale Resilienz durch die Leitplanken, Verhaltens- und Verhältnisgestaltung, aktiv gestaltbar. Wenn dies gut gelingt, ist die Arbeit einerseits effizient, beeinträchtigungsfrei sowie lern- und persönlichkeitsförderlich und andererseits ist die Organisation auf die Chancen und Herausforderungen der Gegenwart und Zukunft vorbereitet. Eine ganzheitliche Arbeitsanalyse und -bewertung bildet dabei die Grundlage des Gestaltungsprozesses.


 

Quellen des Textes:

Hacker, W., Slanina, K. & Scheuch, K. (2015). Einmischen: Verhältnisprävention arbeitsbedingter psychischer Belastung anstatt Symptomtherapie – Aber wie? In R. Wieland, O. Strohm, W. Hacker & P. Sachse (Hrsg.), Wir müssen uns einmischen – Arbeitspsychologie für den Menschen (S. 58–­68). Kröning: Asanger.

Mustapha, V. (2020). Eine ganzheitliche Arbeitsanalyse, -bewertung und -gestaltung mit dem Leitbild der „vollständigen Tätigkeit“ – Eine Konstruktanalyse und Vorgehensentwicklung (Dissertation). Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg. http://doi.org/10.25673/34924

Rau, R., Schweden, F., Hoppe, J. & Hacker, W. (2018). Verfahren zur Tätigkeitsanalyse und -gestaltung bei mentalen Arbeitsanforderungen (TAG-MA). Manual. Halle (Saale): Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg, Institut für Psychologie.


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