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  • AutorenbildINAGO - Institut für Arbeitsgestaltung und Organisationsentwicklung

Herausforderungen der gegenwärtigen und zukünftigen Arbeitswelt



Der fortwährende Wandel der Arbeit wird auch die kommenden Jahre anhalten und sogar noch an Geschwindigkeit zunehmen. Vereinfacht können die Herausforderungen der aktuellen und zukünftigen Arbeitswelt in eine gesellschaftliche und eine technologische Perspektive unterteilt werden. Während die gesellschaftliche Perspektive vor allem durch den demografischen Wandel, die Globalisierung und den Wertewandel geprägt ist, wird die technologische Perspektive durch die Digitalisierung mit all ihren Aspekten bestimmt. Die beiden Perspektiven stehen im Zusammenhang und erzeugen eine dynamische Veränderung der Arbeitswelt, welche mit dem mittlerweile häufig gebrauchten Akronym VUKA (volatil, unsicher, komplex, ambig) beschrieben werden kann. Die COVID-19-Pandemie, welche die aktuelle Zeit stark prägt, verstärkt diese dynamische Veränderung zusätzlich. Sie hat nicht nur gesellschaftliche Auswirkungen, sondern beschleunigt auch die Entwicklung und Implementierung von neuen Technologien. Nachfolgend werden vier wesentliche Trends und ihre Bedeutung für die Arbeit umrissen.


Gesellschaftliche Veränderungen


Demographischer Wandel. Der demografische Wandel führt in den Industrienationen zu einer drastischen Alterung der Gesellschaft. Dies ist besonders in Deutschland zu sehen. Laut Prognose des Statistischen Bundesamtes steigt der Anteil der Bevölkerung ab 65 Jahren von 21 Prozent im Jahr 2018 auf 34 Prozent im Jahr 2060. Grund dafür ist auf der einen Seite die steigende Lebenserwartung und auf der anderen Seite die schrumpfende Bevölkerungszahl. Die Zuwanderung kann den Alterungsprozess und Bevölkerungsrückgang zwar verändern, aber nicht stoppen. Das führt zu enormen Herausforderungen für die sozialen Sicherungssysteme. Beispielsweise wird die Finanzierung der gesetzlichen Rentenversicherung über das Jahr 2030 nur über eine Steigerung der beitragspflichtig Beschäftigten möglich sein. Da das Grundsicherungsniveau das Absinken der Renten beschränkt und eine Erhöhung der Beitragssätze sowie der steuerfinanzierten Bundeszuschüsse ebenfalls Grenzen gesetzt sind, ist das Renteneintrittsalter die wesentliche Stellgröße. Damit ist davon auszugehen, dass das abschlagsfreie Renteneintrittsalter über den bisher anvisierten 67 Jahren liegen wird. Damit dies gelingt ist eine Arbeitsgestaltung erforderlich, die altersgerecht sowie alternsgerecht ist und somit die individuellen Leistungsvoraussetzungen länger als bisher erhält oder weiterentwickelt.


Im Zuge des demografischen Wandels zeigt sich mit dem Fachkräftemangel eine weitere Herausforderung. Insbesondere Berufe, die nicht durch die Automatisierung substituiert werden können, sind davon betroffen. Bereits 2015 konnten elf Prozent der Ingenieursstellen und Stellen für Personen mit naturwissenschaftlichem Abschluss nicht besetzt werden. Laut statistischen Bundesamt hatten 2019 circa 70 Prozent der Unternehmen Schwierigkeiten, Stellen für IT-Fachkräfte zu besetzen. Bei Befragungen in der Logistik- und Chemiebranche in Deutschland gehen über 70 Prozent der Befragten davon aus, dass der Fachkräftemangel weiter zunimmt. Dadurch herrscht auf dem Arbeitsmarkt ein hoher Wettbewerb um begehrte Fachkräfte. Eine gute Arbeitsgestaltung ist Grundvoraussetzung, um in diesem Wettbewerb zu bestehen und somit interne Fachkräfte zu halten sowie externe zu gewinnen. Denn eines steht fest: kreative und innovative MitarbeiterInnen werden besonders von Unternehmen angezogen, die kreatives und innovatives Arbeiten ermöglichen. Darüber hinaus kann über eine lernförderliche Arbeitsgestaltung die Qualifizierung der vorhandenen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter gefördert werden und ein vorhandener Fachkräftemangel durch mittel- bis langfristige Planung intern gelöst werden.


Globalisierung. Ein weiterer schon langanhaltender, aber zukünftig weiterwachsender Trend ist die Globalisierung. Sie ist durch einen weltweiten, interkulturellen Wirtschaftraum und eine starke Verflechtung zwischen Unternehmen gekennzeichnet, was zu ständigen Veränderungen in der Wettbewerbs- und Marktstruktur führt. Kurzzeitig kann die Globalisierung durch Protektionismus oder Abschottung ins Stocken geraten, langfristig ist jedoch von einer zunehmenden globalen Verflechtung mit starkem Einfluss auf die Arbeit auszugehen. Die später beschriebene Digitalisierung beschleunigt diesen Prozess weiter. In der Folge kommt es zu einer weiter zunehmenden globalen Arbeitsteilung mit permanenten Anpassungsdruck. Arbeitsprozesse, die früher lange Bestand hatten, müssen nun von den Arbeitenden ständig hinterfragt und optimiert werden. Produktionszyklen werden immer kürzer. Wissen, Problemlösefähigkeiten und Innovationen sind in einer solchen Arbeitswelt von zentraler Bedeutung, um am Markt langfristig konkurrenzfähig zu bleiben. Für die Bewältigung der komplexen und herausfordernden Aufträge in dieser VUKA-Welt, ist Kommunikation und Kooperation von hochspezialisierten Wissensarbeitern notwendig. Generell sind Innovationen zu einem großen Teil von dem Zusammentreffen von heterogenem Wissen abhängig. Eine tayloristische Arbeitsteilung wird den Herausforderungen dieser Arbeitswelt nicht gerecht. Um Prozesse zu optimieren und komplexe Problemstellungen zu lösen, ist eine Arbeitsgestaltung notwendig, die schöpferisches und innovatives Arbeiten unterstützt.

Wertewandel. Ein weiterer Trend, der großen Einfluss auf die Arbeit hat, ist der Wertewandel in der Gesellschaft. Mit Werten sind grundlegende Ziele, Orientierungsstandards und Leitlinien für das Handeln von Individuen, Gruppen-, Organisationsangehörigen gemeint. In den Jahrzehnten nach dem 2. Weltkrieg hat sich in den westlichen Gesellschaften bereits eine Verschiebung von Werten der existentiellen Sicherung hin zu Werten der Selbstverwirklichung vollzogen. Durch die vorhandene existentielle Absicherung steigt die Freiheit des Einzelnen und gesellschaftliche Werte, wie Gleichberechtigung, Ästhetik, Toleranz, Autonomie sowie Partizipation an wirtschaftlichen und politischen Entscheidungen werden wichtiger. Die Erwartungen an die Unternehmen und die Ansprüche an die Arbeit unterliegen ebenfalls diesem Wandel. Arbeit hat nicht mehr nur die Funktion das Einkommen zu sichern, sondern soll auch den individuellen Bedürfnissen und Ansprüchen der Arbeitenden gerecht werden. Dementsprechend bildet sich für die Arbeitswelt der Gegenwart und Zukunft das Menschenbild des Wissensarbeiters heraus. Laut diesem Menschenbild streben Menschen danach, die eigenen Stärken weiterzuentwickeln und Herausforderungen zu bewältigen. Arbeit sollte demnach durch ganzheitliche Aufträge gekennzeichnet sein, die durch Kommunikation und Kooperation einschließen. Ferner sollten diese Aufträge durch wenig Kontrolle gekennzeichnet sein und zusätzlich ein hohes Maß an Selbstbestimmtheit beinhalten.


Technologische Veränderungen


Digitalisierung. Die technologische Entwicklung, welche sich gerade in Form der Digitalisierung zeigt, ist eine Hauptursache für die sich wandelnde Arbeitswelt. Aus wirtschaftlicher Perspektive bewirkt die Digitalisierung neben einem Anstieg von Effizienz, Produktivität und Kundenorientierung auch die Entstehung neuer Wirtschaftszweige und Unternehmen. Seit einiger Zeit befinden wir uns in einer digitalen Ära, die durch cyberphysische Systeme, das Internet der Dinge und die künstliche Intelligenz geprägt ist. Cyberphysische Systeme sind beispielsweise in einem technischen Kontext eingebettet und erhalten über Sensoren oder andere Komponenten Informationen über die physische Welt, die sie verarbeiten, weitergeben oder zur Auslösung eines weiteren Vorgangs nutzen. Dabei können sie autonom agieren und ganze Systeme ohne menschliche Unterstützung steuern. Die Vernetzung cyberphysischer Systeme wird Internet der Dinge bezeichnet. Künstliche Intelligenz kann verallgemeinert als die Nachbildung oder sogar die Verbesserung menschlichen Problemlöseverhaltens verstanden werden. Mit ihr können zum Beispiel relevante Daten und Muster extrahiert, Vorhersagen getätigt, Wahrscheinlichkeiten bestimmt oder Prozesse optimiert werden.

In der Industrie ermöglichen diese Technologien die Einführung von Fabriken mit automatischen Montagesystemen und Industrierobotern, in denen der Mensch nur noch eine Überwachungsfunktion hat. Diese werden auch Smart Factories genannt. Von der Automatisierung sind jedoch auch zunehmend Dienstleistungsberufe betroffen. Dies hat besonders große Auswirkungen auf die Arbeitswelt der Industriestaaten, da durch die Tertiärisierung der Wirtschaft bereits circa 75 Prozent der Arbeitenden im Dienstleistungssektor tätig sind. Als konkretes Beispiel kann administrative Routinearbeit bei Büroarbeitstätigkeiten komplett automatisiert werden und somit eine Anforderungsverschiebung für die Arbeitenden bewirken. Mittelfristig wird die derzeitige und wohl auch zukünftige Technologie allerdings nicht in der Lage sein, Innovationsarbeit bzw. schöpferisches Denken zu übernehmen. Das gilt insbesondere für Tätigkeiten, bei denen kein konkretes Ziel vorgegeben ist und auch Wege der Zielerreichung nicht vorgebbar sind. Am Beispiel der Produktenwicklung wird dies deutlich. Es existiert meist kein präzises Ziel, sondern es gibt lediglich einen groben Zielrahmen. Folglich gilt der Schluss, dass Menschen und nicht die Maschinen Innovationstreiber sind. Innovationsarbeit, die proaktiv von den Arbeitenden initiiert wird, ist von den Unternehmen zunehmend gefordert, um den Herausforderungen der heutigen und zukünftigen Arbeitswelt gewachsen zu sein.

Der technologische Fortschritt hat noch weitere Folgen. Beispielsweise nimmt durch den Einsatz von Informations- und Kommunikationstechnologie die Flexibilisierung und Vernetzung stetig zu. Die Arbeit ist somit örtlich und zeitlich ungebunden. Besonders für komplexe Wissensarbeit und Innovationsarbeit entsteht dadurch die Gefahr von Entgrenzung, da solche Tätigkeiten in der Regel zeitliche und inhaltliche Freiheitsgrade bei der Auftragserledigung besitzen. Es kann folglich an jedem Ort und zu jeder Zeit gearbeitet werden. Tätigkeiten mit Vertrauensarbeitszeit und Möglichkeit zu mobiler Arbeit sind hiervon besonders betroffen. Die Grenzen zwischen Arbeitszeit und Freizeit verschwimmen und verlangen von den Arbeitenden ein hohes Maß an Selbstkontrolle sowie -organisation. Neben der hohen Eigenverantwortung führt eine große Aufgabenfülle oder enge Zeitvorgaben zu steigenden Anforderungen. Dies gilt insbesondere für Innovationsarbeit, bei der die Zeitbemessung für kognitiv anspruchsvolle Aufträge nur schwer zu kalkulieren ist und die Arbeitenden die notwendige Zeit oft selbst nicht abschätzen können. Die Folge der Flexibilisierung und erhöhten Arbeitsintensivierung sind Überstunden oder eine Fragmentierung der Nicht-Arbeitszeit.


Wie sollten Unternehmen auf diese Herausforderungen reagieren?


Diese Übersicht der aktuellen und zukünftigen Trends und ihrer Auswirkungen auf die Arbeitswelt lassen verschiedene Implikationen zu, die bei der Gestaltung der Arbeit berücksichtigt werden müssen. Der demografische Wandel verlangt mehr als zuvor eine alterns- und altersgerechte Arbeit, die durch anspruchsvolle Lernanforderungen vor Demenz und kognitivem Abbau schützt. Aus der Globalisierung, dem Wertewandel und der Digitalisierung geht hervor, dass Innovationsarbeit bereits die Gegenwart und stark zunehmend auch die Zukunft der Arbeitswelt prägt. In der komplizierten VUKA-Welt ist insbesondere Innovation der wichtigste Treiber der Wirtschaft. Die Arbeitsgestaltung muss somit die Entwicklung innovativen Verhaltens unterstützen. Gleichzeitig führen Markt- und Kundenanforderungen der globalisierten Welt, die technischen Möglichkeiten sowie die damit einhergehenden Steuerungsformen der Unternehmen zu einer Entgrenzung der Arbeit mit Termindruck, Überstunden und einer Fragmentierung der Nicht-Arbeitszeit. Um die Arbeitenden zu schützen, können Unternehmen verhaltensbezogene Maßnahmen und Schulungen anbieten. Viel wichtiger ist jedoch eine strukturell Anpassung der Arbeit, welche die Arbeitenden vor Fehlbeanspruchung schützt.


Schlussfolgernd ergeben sich drei wesentliche Zielstellung für eine gute Arbeit.

Die Arbeit sollte 1) effizient sein und somit das jeweilige Arbeitssystem erhalten. Sie sollte 2) Schutz vor physischer und psychischer Beeinträchtigung bieten und sie sollte 3) lern- und innovationsförderlich sein, um die Herausforderungen die Gegenwart und Zukunft zu bewältigen.




 

Eine ausführliche Darstellung mit Quellen ist in folgender Arbeit nachzulesen:

Mustapha, V. (2020). Eine ganzheitliche Arbeitsanalyse, -bewertung und -gestaltung mit dem Leitbild der „vollständigen Tätigkeit“ – Eine Konstruktanalyse und Vorgehensentwicklung (Dissertation). Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg. http://doi.org/10.25673/34924


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