Assoziiert mit Schlagworten wie dem Internet der Dinge, Arbeit 4.0 oder Industrie 4.0 gibt es mittlerweile eine Vielzahl an Einschätzungen, Thinktanks und Prognosen über den Wandel der Arbeit aufgrund fortschreitender Digitalisierung der Arbeit (hauptsächlich aus volkswirtschaftlicher oder arbeitssoziologischer Perspektive). Die resultierenden Berichte befassen sich vorrangig mit gesellschaftlichen Prozessen und reißen die Folgen für Arbeitsprozesse meist nur an. Zudem werden in aller Regel Prognosen und damit nur Spekulation über zukünftige Entwicklungen gegeben.
Die Digitalisierung birgt aber für den einzelnen arbeitenden Menschen ganz konkrete Chancen und Risiken. Einerseits könnten Menschen durch die Automatisierung von nicht menschengerechten Anforderungen entlastet werden, es könnten sich für sie Qualifikationsanforderungen im Sinne eines „Learning on the job“ ergeben oder sie könnten bei selbstbestimmten Möglichkeiten der zeitlichen und örtlichen Verfügbarkeit für Arbeit eine verbesserte Work-Life-Balance erleben. Andererseits könnten Arbeitsinhalte und Arbeitsplätze verloren gehen. Bei fremdbestimmten zeitlichen und örtlichen Flexibilitätsanforderungen kann eine Entgrenzung von Arbeit in den Nichtarbeitsbereich stattfinden.
Aktuell werden komplexe technische Systeme und Technologien aus Sicht technischer und wirtschaftlicher Machbarkeit entwickelt. Dies birgt die Gefahr, dass die daraus resultierenden Anforderungen an die verbliebenen menschlichen Tätigkeiten nur noch Restfunktionen sind, die seitens der Technik nicht oder nur teuer ausführbar sind. Das Verhältnis von Technik und Arbeit war aber weder in der Vergangenheit, noch ist es in der Zukunft bedingungslos vorgegeben. Vielmehr muss aktiv mitbestimmt werden. Welche Arbeitsanteile vom Menschen und welche von der digitalisierten, vernetzten Technik übernommen werden sollen, hängt allerdings nicht nur von den technischen Möglichkeiten oder dem wirtschaftlich Vorteilhaften ab. Entscheidend sind die Auswirkungen auf den Menschen. Dabei sollte das Ziel eine lern- und gesundheitsfördernde Arbeitsgestaltung sein, die es dem Menschen erlaubt, sich anzupassen, weiterzuentwickeln und dabei gesund zu bleiben.
Anhand des aktuellen wissenschaftlichen Kenntnisstandes zu Veränderungen der Arbeitswelt durch die Digitalisierung können Antworten auf folgende Fragen gefunden werden:
Wie wirken sich Veränderungen durch die Digitalisierung auf den Inhalt und die Organisation von Arbeit aus?
Welche Rolle spielen dabei betriebliche und außerbetriebliche Rahmenbedingungen?
Welche konkreten Belastungskonstellationen sind dabei für die Arbeitenden und Unternehmen zu erwarten?
Schlussfolgerung aus dem aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisstand
Die Veränderung der Arbeitsinhalte bietet auf der einen Seite neue Beschäftigungschancen (aber oft nur für Menschen mit bestimmten beruflichen Qualifikationen) und schließt auf der anderen Seite Personen mit fehlender oder geringer Qualifikation vermehrt vom Arbeitsmarkt aus bzw. verweist diese auf sog. Randbezirke der Beschäftigung. Die Folgen der Veränderungen der Arbeitsinhalte durch die Digitalisierung werden sich daher auf den Arbeitsmarkt auswirken, auch wenn dies aktuell nur vereinzelt sichtbar ist.
Das von Erwerbstätigen wahrgenommene Risiko, dass erworbene, eigene berufliche Kompetenzen oder der Arbeitsplatz selbst aufgrund der technischen Entwicklung verloren gehen, ist ein relevanter Faktor der Befindlichkeit der von diesem Wandel betroffenen Beschäftigten.
Um die hier geschilderten negativen Effekte zu verhindern, sind Anpassungen der Qualifikationen notwendig. Da es zunehmend weniger wahrscheinlich ist, dass eine einmalig erworbene (formale) Qualifikation für die Arbeit über eine Lebensspanne ausreicht, ist die Möglichkeit, bei der Arbeit zu lernen und sich an neue Arbeitsbedingungen anzupassen, notwendig. Hierzu muss die Arbeit entsprechend gestaltet werden. Eine Aufgabe bei der Gestaltung zukünftiger Arbeit ist die Schaffung von Arbeitsinhalten und Ausführungsbedingungen, die den Forderungen an eine gute Arbeitsgestaltung entsprechen. Dabei muss die Arbeitsgestaltung auf der Analyse und Bewertung der sich verändernden geistigen Anforderungen bei der Arbeit beruhen. Dies erfordert die stärkere Berücksichtigung kognitionspsychologischen Wissens, d.h. über die menschliche Informationsverarbeitung und über die psychischen Vorgänge bei der Wahrnehmung, des Gedächtnisses bzw. all der Prozesse, die mit dem Erlangen von Erkenntnis und Wissen zu tun haben.
Oft werden mehr negative als positive Folgen beschrieben. Das wird den Chancen der Digitalisierung nicht gerecht. Der Hintergrund dafür ist, dass die Arbeitsgestaltung hinsichtlich digitalisierter und vernetzter neuer technischer Möglichkeiten meistens reaktiv erfolgte. Eine reaktive Gestaltung meint, dass wir umsetzen, was technisch möglich ist, und erst danach schauen, welche Rolle der Mensch in dem Arbeitssystem einnehmen kann. Die Digitalisierung hat sich sozusagen technikgesteuert in die Arbeit „eingeschlichen“ und wurde vielleicht auch lange hinsichtlich ihrer Chancen und Risiken für die menschliche Arbeit unterschätzt. In der verlinkten Überblicksarbeit (IGA-Report) wird detailliert beschrieben, welche Auswirkungen die Digitalisierung für die Arbeitsgestaltung hat. Dabei werden auch Vorschläge für die Gestaltung zukünftiger Arbeit gemacht. Insgesamt wird dabei deutlich, dass ein einfaches Reagieren auf die Folgen der Digitalisierung und Vernetzung nicht ausreicht, um der Bedeutung der Arbeit für den Menschen und den Zusammenhalt der Gesellschaft gerecht zu werden. Die Gestaltung „guter Arbeit“ ist nur möglich, wenn zukünftige Arbeit gestaltet wird. Die Voraussetzung hierfür ist, dass wir uns auch mit potenziellen Folgen der Digitalisierung beschäftigen und versuchen, alle Möglichkeiten der Beeinflussung auf die Digitalisierung zu berücksichtigen. Das umfasst u.a.:
die Beschäftigung mit den gesellschaftlichen und sozialpolitischen Bedingungen (rechtliche und ökonomische Rahmenbedingungen für verschiedene Erwerbsformen, inkl. Absicherungen für Erwerbslosigkeit, Krankheit, Unfälle, Verrentung neu regeln) und mit Regelungen für die Arbeitszeitgestaltung, die eine beeinträchtigungsfreie, nicht gesundheitsschädliche Zeitorganisation gewähren (inkl. Work-Life-Balance ermöglichen)
die Diskussion der möglichen Folgen der Einführung neuer Technologien auf die Funktionsteilung der Arbeit zwischen Mensch und Technik bzw. der neuen Formen einer möglichen Zusammenarbeit von Mensch und Technik (z. B. Arbeit mit Cobots)
Überlegungen zur Arbeitsteilung zwischen Menschen und hier insbesondere die Schaffung vollständiger Tätigkeiten
Überlegungen zur Gestaltung von Kooperation vor dem Hintergrund des Zeitbedarfs für Kooperation und der örtlich-zeitlichen Verfügbarkeit der miteinander kooperierenden Personen sowie in Bezug auf die Zusammenarbeit mit technischen Systemen
In den Arbeitswissenschaften wurde für dieses Gestalten zukünftiger Arbeit der Begriff der prospektiven Arbeitsgestaltung eingeführt. Danach sollen die Arbeitswissenschaften mitbestimmen, was von den digitalisierbaren bzw. automatisierbaren Funktionen tatsächlich automatisiert wird und was im Interesse des arbeitenden Menschen oder der Systemökonomie insgesamt beim Menschen verbleiben sollte. Beispielsweise sollte die Technik gezielt Anforderungen übernehmen, die bei der Übertragung an den Menschen dessen Leistungsvoraussetzungen beeinträchtigen. Gemäß dem soziotechnischen Ansatz soll die technische und menschliche (inkl. organisatorische) Gestaltung von Arbeitssystemen gemeinsam erfolgen. Der ökonomische Erfolg hängt letztlich davon ab, wie das gesamte soziotechnische System funktioniert. Das bedeutet, dass die Merkmale gut gestalteter Arbeitsprozesse, wie sie z. B. die DIN EN ISO 6385 festlegt, in den Entwurf von Arbeit einbezogen werden und erst danach die Teilung von Funktionen zwischen Mensch und Technik sowie die technische Unterstützung durch Maschinen, Computer und Software ausgelegt wird.
Die Inhalte dieses Beitrages stammen aus folgernder Quelle (Detaillierte Informationen zur Arbeitsgestaltung sind in diesem Beitrag zu finden):
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